„Jüdische Ossis“ will ein bisher kaum beachtetes Kapitel ostdeutscher Geschichte beleuchten
Antisemitismus ist nicht nur dann ein Problem, wenn es um strafrechtliche Konsequenzen geht. Doch genau darauf beschränkt sich die öffentliche Debatte in Deutschland zu oft, sagt Stella Leder vom Institut für Neue Soziale Plastik. Gemeinsam mit dem Hans-Otto-Theater will das Institut beim Minifestival „Jüdische Ossis“ mit Lesungen, Gesprächen und Musik den Blick auf das Leben von Juden in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart lenken. Es geht darum, Geschichte aus anderen Perspektiven zu erzählen und auch widersprüchliche Standpunkte nicht außen vor zu lassen. Gleichzeitig wird dabei auch Antisemitismus thematisiert, der sonst nur allzu leicht aus der Wahrnehmung der Menschen verschwindet.
Umgesetzt wird die Idee am 11. und 12. März am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Für Intendantin Bettina Jahnke ist klar, dass Theater genau der richtige Ort dafür ist. Dass sie sich nicht scheut, dort Debatten anzustoßen und sich auch stadtpolitisch klar zu äußern, hat sie nicht zuletzt mit der von ihr gebilligten Plakataktion gezeigt, mit der die Pläne für den Wiederaufbau der Garnisonkirche kritisiert wurden. Doch gibt es auch weitere inhaltliche Parallelen: durch den jüdischen Kommunisten Alfred Dreifuß, der nach seiner Rückkehr aus dem Exil Intendant am Hans-Otto-Theater in Potsdam war, dann aber antisemitischen Säuberungen zum Opfer gefallen ist. Die Protokolle des Schauprozesses, der dem vorausgegangen war, zu lesen, bezeichnet Jahnke als Offenbarung.
Dabei hätten sich die Menschen jüdischen Glaubens nach dem Zweiten Weltkrieg anfangs bewusst dafür entschieden, aus dem Exil in den Staat zu gehen, der sich selbst als antifaschistisch definiert hatte. In den 1950er-Jahren setzte dann allerdings wieder eine Fluchtwelle aus der DDR ein. Dass die Geschichte der Juden in Ostdeutschland bislang kaum thematisiert wird, liegt vielleicht auch an den vergleichsweise geringen Zahlen. 1946 habe es in der sowjetisch besetzten Zone noch rund 4000 jüdische Gemeindemitglieder gegeben, berichtet Nora Pester, Eigentümerin und Verlegerin des Hentrich & Hentrich Verlags. Zum Ende der DDR seien es keine 400 mehr gewesen, wovon mehr als die Hälfte in Berlin gelebt habe. Zum Teil lag die geringe Zahl aber auch daran, dass viele gar nicht in Gemeinden organisiert waren. Auch heute noch treffe das in etwa für die Hälfte der rund 200.000 in Deutschland lebenden Juden zu, berichtet Stella Leder.
Grund genug also, diesem weißen Fleck in der Wahrnehmung zu Leibe zu rücken. Dazu dürfe aber der Antisemitismus nicht nur in Buchform behandelt werden, sondern müsse in der Öffentlichkeit diskutiert werden, so Theaterintendantin Bettina Jahnke. Das Mini-Festival soll auf mehreren Ebenen für neue Perspektiven und mehr Verständnis sorgen.
Veranstaltung an zwei Tagen
Den Auftakt macht am 11. März um 20 Uhr „Religion: Dissident“ – eine szenische Lesung über Dreifuß in der Reithalle mit Guido Lamprecht, Bettina Riebesel, René Schwittay und Katja Zinsmeister. Tags darauf, am 12. März, geht es um 11 Uhr in der Reithalle weiter. Dann liest und diskutiert Barbara Honigmann mit Gregor Gysi darüber, ob es eine jüdische Erfahrung in der DDR gab. Dort prallen Gegensätze aufeinander: Honigmann, die aus der Kunst kommt, und der DDR den Rücken gekehrt hat und Gregor Gysi, der aus der Politik kommt und der sich entschieden hatte, zu bleiben.
Um 14.30 Uhr geht es in der Reithalle weiter mit „Was aus uns geworden ist“. Besucher erwartet eine Lesung von André Herzberg mit Liedern aus dem gleichnamigen Album. Bei „Jung und Jüdisch in der DDR“ gehen Sandra Anusiewicz-Baer und Lara Dämming ebenfalls um 14.30 Uhr im Foyer der Reithalle der Frage ihres Buches mit dem gleichlautenden Titel nach, wie sich junge Jüdinnen und Juden in der DDR gefühlt haben. Anschließend diskutieren sie mit dem Publikum. Die zentrale Frage, „Gibt es eigentlich jüdische Ossis“, ist der Aufhänger der Abschlussveranstaltung um 16.30 Uhr in der Reithalle. Nach einer Lesung und einem Gespräch mit Schriftsteller Dmitrij Kapitelman und der Psychologin Marina Chernivsky stoßen im zweiten Teil die Gründerin der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, und der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Prof. Dr. Reinhard Schramm, hinzu. Ihr Gespräch wird simultan ins Ukrainische übersetzt, weil die Veranstalter mit Besuchern rechnen, die aus der Ukraine geflohen sind.
Das Festivalticket für beide Tage kostet 27, ermäßigt 20 Euro. Der Eintritt am Samstag schlägt mit 12, ermäßigt 8,59 Euro zu Buche, das Tagesticket für Sonntag mit 20, ermäßigt 14 Euro. Für einzelne Veranstaltungen an dem Tag werden 7,50, ermäßigt fünf Euro erhoben. Besucher, die eine koschere Verpflegung wünschen, sollten sich bis 1. März ans Institut für Neue Soziale Plastik wenden unter info@neue-soziale-plastik.org.