In einem zweistufigen Werkstattverfahren sollen Ideen und Vorschläge für eine höhere Aufenthaltsqualität in Potsdams historischem Zentrum gesammelt werden
Pläne für eine autofreie Innenstadt gibt es schon länger. Nun sollen sie innerhalb von rund zehn Jahren umgesetzt werden. In einem ersten Schritt werden Teile der Friedrich-Ebert-Straße zu einem "Boulevard" umgebaut, erklärte Baudezernent Bernd Rubelt (parteilos) am Dienstag vor Journalisten. Gemeint ist damit aber keine baumbestandene Prachtstraße im eigentlichen Sinn, sondern eher eine autobefreite Fußgängerzone wie die Brandenburger Straße. Der Umbau soll in den Jahren 2025 und 2026 stattfinden.
Längerfristig können sich die städtischen Entscheider jedoch ähnliche Lösungen auch für die anderen Innenstadtstraßen im Karree zwischen Hegelallee, Schopenhauerstraße, Charlottenstraße und Hebbelstraße vorstellen. Vor allem der ruhende Verkehr, also die parkenden Autos in den Seitenstraßen, sind Verkehrsplanern und Politik ein Dorn im Auge. Sie benötigen sehr viel Platz, der anders genutzt zu einer Verbesserung des Stadtbildes beitragen könnte. Beispiele aus anderen Städten haben zu einer deutlichen Aufwertung geführt - genannt wurde in erster Linie Erfurt mit seiner innerstädtischen Begegnungszone. Im Vorfeld der Umsetzung wurden dort Bewohner und Geschäftsleute eingebunden und konnten ihre Ideen einbringen. Das ist in ähnlicher Form auch in Potsdam geplant, eine erste Diskussionsrunde im Rahmen des Werkstattverfahrens gibt es am Dienstag, 29. März von 17 bis 19.30 Uhr als Videokonferenz, eine zweite im Juli.
Große Bedenken haben vor allem die ortsansässigen Händler bei einer Umstrukturierung, durch die Bezahlparkplätze für ihre Kunden wegfallen würden. Anwohner sollen zunächst weiterhin Parkausweise bekommen, deren Anzahl die Zahl der real vorhandenen Stellplätze allerdings schon heute weit überschreitet. "Hauseigentümer müssen für Stellplätze ihrer Mieter sorgen", betonte Rubelt, konnte jedoch auf Nachfrage nicht sagen, wo diese Parkplätze zur Verfügung stehen könnten. Denn nicht einmal im teuren, privat bewirtschafteten Parkhaus auf dem Campus der Stadtverwaltung gibt es ausreichend Stellplätze. Zudem würde eine Umwandlung in Dauerparkplätze bedeuten, dass noch mehr Kurzzeit-Parkmöglichkeiten für auswärtige Besucher wegfallen. Für sie gebe es ausreichend Park & Ride-Plätze an den Hauptzufahrtstraßen, entgegnete Rubelt.
Damit unterscheidet sich Potsdam von dem beispielgebenden Erfurt: Dort besteht die Innenstadt von jeher aus kleinen Gassen, die sich ohnehin nicht besonders gut für den Kfz-Verkehr eignen. Gleichzeitig stehen ausreichend Parkhäuser in der nahen Umgebung zur Verfügung. Ähnlich ist es auch im westfälischen Münster, wo die Innenstadt seit Jahrzehnten verkehrsberuhigt ist, oder in der erst vor wenigen Jahren fertiggestellten "Neuen Altstadt" in Frankfurt am Main. In einem beispielhaften Verfahren hat man in der Mainmetropole einen kleinen Teil der im zweiten Weltkrieg zerstörten alten Gassen mit an die ursprüngliche Bebauung angelehnten Häusern neu errichtet. Der gesamte Bereich bis zum bekannten Römer ist eine große Fußgängerzone, die nur Lieferverkehr zulässt. Auch in Frankfurt gibt es aber zahlreiche Parkhäuser und vor allem ein hervorragendes ÖPNV-System.
Eine autofreie Innenstadt bietet neben der gesteigerten Aufenthaltsqualität viele Vorteile beispielsweise für die Gastronomie, die Flächen nutzen könnte, die zurzeit noch von parkenden Autos blockiert werden. Doch auch das ist in Potsdam mit seinem historisch-groben Kopfsteinpflaster mehr Schein als Sein, wie sich während der Ausnahmegenehmigungen in der Pandemie gezeigt hat. Um eine sinnvolle Nutzung des Straßenraums zu ermöglichen, wären hier also auch Anpassungen nötig. Ähnlich ist es mit dem herbeigesehnten Stadtgrün, das die Qualität der Innenstadt in der warmen Jahreszeit ebenfalls erheblich steigern könnte. Auch hier gilt es dem am Werkstattverfahren beteiligten Planungsbüro StadtLabor aus Leipzig zufolge, einen schwierigen Spagat zwischen denkmalgeschützter Innenstadt und heutigen Vorstellungen einer nachhaltigen und angenehmen Wohnumgebung zu meistern.
Ziel des zweistufigen Werkstattverfahrens ist es, Ideen zu sammeln und die Bedürfnisse aller Beteiligten zu ermitteln. Denn neben den Bewohnern sind auch Händler, Gastronomen und Besucher von den Veränderungen betroffen. Handel und Gastronomie könnten laut Rubelt von zusätzlichen Fahrradabstellplätzen anstelle der Parkplätze profitieren. Für Kinder wären Spielbereiche denkbar. Und für Flaneure würde es deutlich angenehmer, die von Autos befreiten und von Bäumen beschatteten Straßen zu besuchen. Die Anmeldung zur Teilnahme am Werkstattverfahren ist bis zum 15. März per Mail an Stadterneuerung@Rathaus.Potsdam.de möglich.
Unabhängig von den Potsdamer Plänen hat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) am Dienstag einen Innenstadtkongress angekündigt, der im Juli in Potsdam stattfinden soll und sich mit den Problemen der Transformation leerstehender Einkaufsstraßen in deutschen Innenstädten befassen wird. Umbau und Wiederbelebung der Stadtzentren durch die Unterstützung von mehr Wohnraum ist in vielen Kommunen überlebenswichtig.