Gastbeitrag zu Erich Sturtevant, der einst Jüterbogs Ortschronist war
Die selten anzutreffende Verbindung von künstlerischem und schriftstellerischem Wirken hat in den reich illustrierten Monographien und Beiträgen von Erich Sturtevant (1869–1947) mannigfaltigen Niederschlag gefunden. Unzählige der meist heimatliche Motive darstellenden Gemälde sind in Wohnzimmern und Amtsstuben der Region überliefert. Seine 1935 erschienene „Chronik der Stadt Jüterbog“ gilt – trotz ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung – bis heute als Quelle für die Stadtgeschichtsforschung. Vor wenigen Jahren wurde ein Platz in der Innenstadt, an der Einmündung der Trift- in die Friedrich-Ebert-Straße, nach ihm benannt. Diese Ehrung erinnert an eine Persönlichkeit, die das weite Feld der Kunst und Geschichte fruchtbar nutzen, sich jedoch nicht dem ideologischen Nährboden jener Zeit entziehen konnte. Sein Leben spannt sich von der Gründung des Deutschen Reiches bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und führte ihn von Frankfurt an der Oder, Breslau, St. Louis (Missouri) und Berlin schließlich in die Flämingstadt. Im renommierten internationalen Fachorgan „Amerindian Research. Zeitschrift für indianische Kulturen von Alaska bis Feuerland“ (Band 16/3 2021 Nr. 6, S. 136-155) ist jüngst ein bislang unbekanntes Sturtevant-Kunstwerk von Dr. Peter Bolz, lange Jahre Mitarbeiter im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem, wissenschaftlich analysiert worden. Die spannende Geschichte beginnt mit einer Kreidezeichnung, welche 2016 im Berliner Auktionshaus Bassenge versteigert wurde. Sie trug den Titel „Chief Geronimo beim Bogenschießwettbewerb“. Dieses auf bräunlichem Zeichenkarton gefertigte Bild ist signiert mit „Sturtevant, St. Louis 1904“. Auf der Rückseite befindet sich sein handschriftlicher Vermerk: „Bogenschießende Indianer. Kreidezeichnung nach der Natur. Kunstmaler Erich Sturtevant, Jüterbog, Pferdestr. 81. Verkaufspreis 500 RM“. Diese Angaben belegen, dass die Zeichnung 1904 tatsächlich in St. Louis gefertigt wurde und nicht der Phantasie des Künstlers entsprang. Indes wird auch deutlich, dass Erich Sturtevant dieses Bild erst in seinen letzten Jüterboger Jahren, also etwa 40 Jahre nach der Entstehung, wohl aus existentiellen Gründen für 500 Reichsmark zum Kauf anbot. Wer schließlich der Käufer war und wer es 2016 zur Auktion einreichte, ist nicht bekannt. Die Zuschreibung „Chief Geronimo“ geht auf das erwähnte Berliner Auktionshaus zurück. Es fand durch eigene Recherche heraus, dass Geronimo auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 weilte. Vom Herbst 1903 bis in den Sommer 1904 vertrat Sturtevant dort mit über 300 Künstlern die offizielle „Kunstszene“ des Deutschen Reiches. Die Auswahl der in Frage kommenden Vertreter führte bereits im Vorfeld zu Protesten, hatte doch Kaiser Wilhelm II. die sezessionistischen Richtungen unberücksichtigt gelassen. Spekulation bleibt, ob diese Kreidezeichnung von Erich Sturtevant das einzig erhaltene Zeugnis seines langen Aufenthaltes in St. Louis darstellt. Sehr wahrscheinlich war ihm gar nicht bewusst, dass er auf seinem Bild einen der berühmtesten Apachen-Häuptlinge des 19. Jahrhunderts verewigte. Peter Bolz ist es gelungen, anhand dieses Kunstwerkes die bewegte Biographie des Jüterboger Künstlers notabene um einen weiteren interessanten Ausschnitt zu bereichern. Erich Sturtevant erfährt zugleich eine zum 75. Todestag am 3. März 2022 gebotene Rückbesinnung.