Zwei Statements
„Aktionismus statt Argumente“, heißt es in einer Mitteilung der CDU-Fraktion Potsdam. Hier stellt man sich zudem die Frage, ob das Forum an der Plantage überhaupt noch sinnvoll sei. Weiter heißt es: „Die Gegner des Versöhnungszentrums in der Garnisonkirche zeigen mit ihrer niveaulosen Aktion, dass ihnen die Argumente ausgehen und sie gar nicht an einer Lösung an der Plantage im Sinne der gesamten Stadtgesellschaft interessiert sind. Die Aktion steht im Vordergrund, Klamauk statt seriösem Diskurs scheint die Devise zu sein. Damit werden die ohnehin fragwürdigen Bemühungen des Oberbürgermeisters, alle Akteure in einem Prozess zusammenzubringen, konterkariert und ernsthaft infrage gestellt.“ Der Fraktionsvorsitzende Matthias Finken fragt: „Wie wollen die Verantwortlichen des Hans Otto Theaters aus der Ecke, in die sie sich ohne Not hineinmanövriert haben, wieder herauskommen?“ Für den Kreisvorsitzenden Oliver Nill besteht kein Zweifel: „für eine städtische Einrichtung, die vom Publikum der ganzen Stadt lebt, von der Allgemeinheit getragen und finanziert wird, müssen wir politische Zurückhaltung und rechtsstaatliches Handeln erwarten.“
Antwort der Intendantin des Hans Otto Theaters
Intendantin Bettina Jahnke antwortet auf einen Offenen Brief der CDU von Rainer Dallwig und Anna Lüdcke, Mitglieder des Kulturausschusses der Landeshauptstadt, vom 2. Dezember 2022:
„Danke für Ihren Offenen Brief, den wir aufmerksam zur Kenntnis genommen haben. Sie erklären eingangs darin: „Der Widerstreit ist das Spannende an der lebendigen Stadtgesellschaft.“ Hier stimme ich Ihnen aus vollem Herzen zu. Dann allerdings beklagen Sie sogleich das Fehlen von „Anstand“ und „Respekt“ einer Protestaktion im öffentlichen Raum, die Ihnen nicht genehm ist, weil darin „GegnerInnen der Garnisonkirche“ ein Theaterplakat künstlerisch verfremdet haben. Und Sie verlangen eine Entschuldigung dafür, dass wir als Theater diese Form des Protests tolerieren.
Vorab sei darauf hingewiesen, dass von unseren zirka 120 Werbeflächen in der Stadt lediglich eine Handvoll Plakate betroffen sind. Oder wie mir Peter Leinemann, Verwaltungsvorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam, schrieb: „Zu allererst ein Lob auf das Internet! Denn wenn man den Tatort einer kleinen Plakatierungsaktion im wirklichen Stadtbild finden möchte, muss man sich schon gut auskennen und sehr wache Augen haben.“
Gern erläutere ich Ihnen meine Haltung, die der Entscheidung zugrunde liegt, diese Zweckentfremdung unserer Werbeflächen zu dulden. Zunächst einmal gilt es festzuhalten: Es handelt sich nicht um eine Aktion des Hans Otto Theaters. Vielmehr wurden unsere Plakate vom Bündnis „Stadt für alle“ für eine politische Botschaft „gekapert“. Wir sind gewiss nicht erfreut darüber. Es hätte vermutlich auch andere, passendere Formen des zivilen Widerstands gegeben. Tatsache ist aber auch, dass hier nicht einfach stumpf eine Werbefläche missbraucht wurde, sondern offenkundig eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Stück „Die schmutzigen Hände“ von Jean-Paul Sartre stattgefunden hat. Darin geht es zentral um die Frage, ob und wie man sich in der Politik die Hände schmutzig macht, ob und wie Widerstand gegen die herrschende Ordnung möglich ist. Die Fotomontage nimmt auf diesen Titel Bezug und verändert auf überraschende Weise den Blickwinkel. Das Bündnis „Stadt für alle“, das hinter der Aktion steht, tritt für den Erhalt des Rechenzentrums ein und spricht sich gegen „rechte Wallfahrtsorte“ aus. Diese Ziele kann ich als Intendantin des Hans Otto Theaters prinzipiell unterstützen. Letzteres ist auch ganz im Sinne unseres Namensgebers Hans Otto, der 1933 von der SA gefoltert und schließlich ermordet wurde.
Der Wiederaufbau der Garnisonkirche mag „der CDU ein echtes Herzensanliegen“ sein, wie Sie schreiben. Niemand jedoch kann heute eine Garantie dafür geben, dass nicht doch eines Tages die neuen Nazis nach Potsdam pilgern, um ihrem Führer zu huldigen. Den Tag von Potsdam und den Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg hat es gegeben. Das sind historische Fakten. Die Garnisonkirche, argumentieren Sie, sei damals nur „als Bühnenbild missbraucht“ worden. Ebendieses Bühnenbild wollen Sie nun wieder schön herrichten. Das ist Ihr gutes Recht. Kritik an diesem Vorhaben müssen Sie jedoch aushalten – auch wenn sie provokant daherkommt.
Bei unserer Duldung der Plakatüberklebung geht es außerdem auch um die Frage, welcher Umgang mit kritischen Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum angemessen ist. Ja, wir hätten die betroffenen Plakate schnellstmöglich neu bekleben und ihre kritische Botschaft übertünchen können. Meines Erachtens aber hätten wir uns damit unglaubwürdig gemacht. Denn das Theater ist immer auch ein Ort der politischen Auseinandersetzung. Davon zeugt unser Spielplan, mit dem wir gesellschaftliche Diskurse anstoßen und Themen setzen wollen, die wir unter anderem in Vor- und Nachgesprächen mit dem Publikum behandeln.
Ich bin 2018 in Potsdam als Intendantin unter dem Motto „Haltung – Offenheit – Toleranz“ angetreten. Dazu stehe ich nach wie vor, und ich kann nicht erkennen, wofür ich mich zu entschuldigen hätte. Ich erfahre dieser Tage vielfach auch Ermutigung von Potsdamer*innen für unsere Reaktion, die in den sozialen Medien sogar von neutraler Seite als „souveräner Umgang mit dieser Aktion“ bewertet wird.
In einem Punkt bin ich aber wieder ganz bei Ihnen: Selbstverständlich sollte das Theater weiterhin ein Ort für alle bleiben. In diesem Sinne bin auch ich offen für den Diskurs und lade Sie beide herzlich ein, sich bei nächster Gelegenheit eine Vorstellung von Sartres „Die schmutzigen Hände“ anzuschauen und danach mit dem Ensemble, dem Publikum und mir darüber ins Gespräch zu kommen.“
Meinungen gefragt
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