Philipp Oswalt gilt als stimmgewaltiger Kritiker des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche und anderer preußischer Repräsentationsbauten. Nun hat der Architekt seine Ansichten in einem Buch zusammengefasst.
Schon seit langem kritisiert Philipp Oswalt den Wiederaufbau der 1968 gesprengten Hof- und Garnisonkirche. Nun veröffentlicht der Kassler Architektur-Professor das Buch „Bauen am nationalen Haus – Architektur als Identitätspolitik“. Im Zentrum steht der neu erstandene Potsdamer Kirchturm. Die 60 Seiten hierzu tragen die Überschrift „Wiederaufbau zwischen militärischer Traditionspflege, protestantischer Erinnerungskultur und Rechtsextremismus“. Weitere kürzere Ka-
pitel widmet der 59-jährige Hesse unter anderem dem Berliner Schloss – dem heutigen Humboldt Forum.
Als Oswalt seinen Band in der Berliner Buchhandlung „Bücherbogen“ am 12. Januar 2024 vorstellte, gestand er dem Humboldt Forum eine gewisse Legitimität zu: „Die Reparatur des Stadtraums war nicht von der Hand zu weisen.“ Obwohl auch dieses Projekt umstritten war, meint er im Vergleich zur Garnisonkirche: „Im Gegensatz dazu ist das Schloss ein linksliberales Projekt“, und setzt noch eins drauf: „Die Garnisonkirche ist noch zehnmal schlimmer als das Schloss.“ Für ihn sei unerheblich, dass die Kapelle innen modern gestaltet werde und der Bau der Versöhnungs- und Friedensarbeit dienen soll.
Für weit wichtiger hält der Autor den geplanten Fassadenschmuck mit preußischen und militärischen Insignien. Er befürchtet, dass dies Vertreter rechter Kreise anziehen könne, die in der Vergangenheit zu den Spendern gehörten. Immerhin haben sich aufgrund demokratischer Entscheidungsprozesse im Jahr 2005 umstrittene Geldgeber zurückgezogen – so wie auch lautstarke Preußenverehrer in der historischen Berliner Mitte ausbleiben. Im Gegenteil wurde das Schloss zum weltoffenen Kulturforum, das inzwischen sogar Straßentänzer erobern.
Der Architekturkritiker vermutet Geschichtsrevisionismus
Trotzdem stört den Architekturkritiker in Berlin vor allem die Rekonstruktion der Kuppel mit Kreuz über der Schlosskapelle: „Mir kann niemand sagen, dass die Spender das mit der scheiß Kuppel nur wegen der Schönheit gemacht haben.“ Er sieht dahinter einen imperialen Anspruch. Unter den privaten Geldgebern vermutet er Verehrer des Kaiserreichs: „Krass, dass man sich mit Geld einkaufen kann und dass mehr und mehr rekonstruiert wird.“
Ungesagt blieb, dass die 70 Meter hohe Schlosskrönung eine Symmetrie zur gegenüberliegenden Hauptkuppel des Doms bildet. Der wurde in reduzierter Form vorwiegend mit Mitteln aus Westdeutschland von 1975 bis 1993 wiederaufgebaut. So wie auch das Humboldt Forum keine Kopie des Vorgängerbaus ist.
Doch kritisiert er die angebliche „fotografische Rekonstruktion“ sämtlicher Wiederaufbauprojekte generell als „völlig verrückt“. Am Schloss wünsche er sich mehr Geschichtsspuren, etwa Einschusslöcher aus sozialen Kämpfen und Kriegen. Dabei gibt es gleich nebenan das ins frühere Staatratsgebäude integrierte originale Schlossportal, von dem sowohl Wilhelm II. den Kriegseintritt 1914 als auch Karl Liebknecht 1918 die „Sozialistische Republik“ verkündeten.
Das Buch belebt die Debatte um den Sinn von Rekonstruktionen
Das Buch hat seine Stärken darin, Kontroversen zum Wiederaufbau mit zahlreichen Quellenangaben chronologisch zu dokumentieren. Auch belebt Oswalt die generelle Debatte um den Sinn und die Art von Rekonstruktionen historischer Bauten.
Dennoch wischt er gerade beim Thema Garnisonkirche die Ursachen des Verlustes beiseite. Dass der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht die Beseitigung der Kriegsruine anordnete, um dem Stadtzentrum einen sozialistischen Stempel aufzudrücken, hält Oswalt lediglich für eine „Suada“ und geht damit der Scheindemokratie in der DDR auf den Leim.
Denn das originale barocke Meisterwerk des Architekten Philipp Gerlach hatte weltweite Bewunderer. Um internationale Proteste erst gar nicht aufkommen zu lassen, erhielt der Potsdamer Stadtrat regelwidrig kurz vor der Sitzung im April 1968 eine zuvor nicht angekündigte Beschlussvorlage, deren Inhalt in der Kürze der Zeit nicht nachprüfbar war.
Das wies der DDR-Dokumentarfilmer Kurt Tetzlaff 1993 durch Dokumente und Gespräche mit Beteiligten nach. Nur vier Verordnete stimmten gegen die Sprengung der stabilen Ruine mit Nein. Die Potsdamer aber haben ihre markante Kirche mit ihrem weithin über Potsdam erklingen Carillon nicht vergessen, wie es sich die SED-Parteiführung mit dem Bau des Rechenzentrums an dieser Stelle erhofft hatte.