"Ich bin nur froh, dass mein Hund noch bei mir ist" - Der 79-jährige Peter Hille musste beinahe seinen geliebten Hund abgeben. Für ihn trägt eine Bürokratie die Schuld, da Verfahren nur vom Schreibtisch aus bearbeitet werden.
Liebevoll krault er seine Schäferhündin hinter dem Ohr. Die fünfjährige Julie sitzt ruhigen neben ihrem Herrchen, Peter Hille. Der Bestenseer hat im vergangenen Jahr einiges mitgemacht. Eine kleine Balgerei unter Hunden hat beinahe dafür gesorgt, dass er ein Familienmitglied verloren hätte. Begonnen hat die Geschichte am 16. Dezember 2020, als Hille sich zusammen mit seiner Schäferhündin Julie mit einer bekannten Hundebesitzerin zu einem kleinen Spaziergang traf. Die beiden Hunden tollten ausgelassen auf einer städtischen Grünfläche. Unangeleint - denn eine Leinenpflicht besteht in Bestensee nicht.
Als im Halbdunkeln ein Pärchen mit zwei angeleinten Hunden die Wiese betraten. Die Hunde bellten, worauf Hilles Hündin Kontakt aufnahm. Infolgedessen kam es zu einer Balgerei, die von den Hundenhaltern beendet wurde. "Der junge Mann war sehr erbost und ließ sich auch nicht beruhigen", erinnert sich Peter Hille. Da beide Hunde augenscheinlich unversehrt waren, verwunderte es den 79-Jährigen, als er sechs Tage später einen Brief der Familie im Briefkasten vorfand. Ihre französische Bulldogge hätte sich bei der Rauferei mit Julie eine Verletzung zugezogen, die von einem Tierarzt behandelt werden musste. Nun sollte Hille diese Kosten übernehmen. "Der Hund tat mir leid, also brachte ich die 81 Euro am 25. Dezember 2020 persönlich vorbei", so Hille.
Für die Besitzer des geschädigten Hundes war die Sache damit aber wohl noch nicht erledigt. Zwei Anzeigen bei der Polizei, eine wegen Sachbeschädigung und eine wegen Beleidigung, ebenso wie eine Anzeige beim örtlichen Ordnungsamt folgten.
Vorsicht Bissig!
Im Januar 2021 erreichte Hille dann ein Schreiben des Ordnungsamtes, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass aufgrund der Zeugenaussage des geschädigten Hundehalters seine fünfjährige Schäferhündin nun als "gefährlich" eingestuft wurde. Der Mann hätte zu Protokoll gegeben, dass Julie seinem Hund grundlos in den Rücken gebissen hätte. Das Ordnungsamt macht im weiteren Schreiben darauf aufmerksam: "Wer einen gefährlichen Hund halten will, bedarf der Erlaubnis der örtlichen Ordnungsbehörde."
Um seine Julie, die er als Welpe bekam und von ihm selbst aufgezogen wurde, behalten zu dürfen, musste Hille daraufhin viele Auflagen erfüllen. Er musste neben seinem persönlichen Führungszeugnis einen Nachweis vom Tierarzt, dass der Hund einen Microchip-Transponder trägt, und der Bestätigung einer Haftpflichtversicherung auch den Nachweis darüber erbringen, dass er sein Tier verhaltensgerecht und ausbruchssicher untergebracht hat. Dazu gehört eine Beschreibung, sowie eine Zeichnung der Räumlichkeiten, Freianlage, Zäune und ähnliches, die Hille mit Maßen und Fotos belegen musste.
"Vorsicht bissiger Hund" prangt nun gut sichtbar auf einem Schild am Eingangstor des Grundstücks.
Hinzu kam noch die Forderung eines Sachkundenachweises. Mit diesem Nachweis soll überprüft werden, ob der Hundehalter die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt und über die notwendige Zuverlässigkeit verfügt, einen Hund zu halten. Der Gesetzgeber möchte damit sicherstellen, dass der Hundehalter auch eine gewisse Ahnung vom Umgang mit dem Hund hat und weder dem Hund noch anderen Personen Schaden entsteht. Das Infragestellen seiner Hundekenntnis schmerzt den Wahlbestenseer am meisten.
Buchstäblich lebenslange Hundeerfahrung
Peter Hille einfach nur hundeaffin zu nennen, wäre vermutlich nicht treffend. Seine Liebe zu den Vierbeinern fußt bereits in seiner Kindheit. "Ich wurde 1942 in Rumburg im ehemaligen Sudetenland geboren. Ich kann mich an gar keine Zeit erinnern, in der ich nicht von Hunden umgeben war. Als ich neun Jahre alt war, bekam ich meinen ersten eigenen", erinnert sich Hille. Obwohl er zunächst als Bergmann im Untertagebau in Sachsen gearbeitet hat, konnte Hille seine große Leidenschaft zum Beruf machen. Als Hundeführer kam er zum Grenzkommando nach Brandenburg, musste aber "zum Glück" nie an die Grenze und wurde zur Bewachung des Dienstgeländes in Pätz eingesetzt. 1966 wurde er zum Mitbegründer des Hundeplatzes am Zeesenersee und war dort als Ausbilder tätig. Im Laufe seines Lebens hat er unzählige Diensthunde, Schutz- und Begleithunde ausgebildet.
Nach seiner Anstellung in Pätz war Hille als Hundeführer zehn Jahre bei der Bahnpolizei in Berlin tätig, bevor er zur Polizei in Königs Wusterhausen wechselte. Im Zuge dessen absolvierte er auch eine Ausbildung in der Polizeihundeschule in Pretsch. "In meinem Berufsleben als Polizist habe ich immer eng mit verschiedenen Ordnungsämtern zusammengearbeitet, auch mit dem in Bestensee", sagt Hille. Besonders wegen seiner exzellenten Kenntnisse im Einsatz mit Hunden war Hille ein geschätzter Kollege.
Die Erbringung des Sachkundenachweises im aktuellen Streit wurde Peter Hille zusätzlich dadurch erschwert, dass er vom Ordnungsamt eine seit 20 Jahren veraltete Liste mit Sachverständigen erhielt. Er habe alle abtelefoniert, so Hille. Die meisten seien nicht mal mehr im Amt, einige sogar schon verstorben gewesen. Da er den Nachweis nicht fristgerecht erbrachte, kam Ende Februar ein Schreiben des Amtes aus dem hervorging, dass es beabsichtigte dem Bestenseer das Halten von Julie zu untersagen.
Am 7. März hatte Peter Hille die Möglichkeit sich zum Sachverhalt zu äußern. Im Laufe dessen legte er eine Aussage ab, brachte eine Aussage seiner Bekannten, die beim Vorfall im vergangenen Winter zugegen war, und legte noch diverse Zeugnisse vor. Unter anderem Belege über einen Weiterbildungslehrgang der Polizeihundeschule von 1970, eine Urkunde als bester Hundeschutzführer von 1973 und zwei Urkunden von Bestenermittlungen der Diensthundeführer Berlin aus den Jahren 1968 und 1969, bei denen er mit seinem Diensthund jeweils den ersten Platz belegte. All dies führte bei den Ordnungsamtmitarbeitern jedoch zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage.
Am 7. Mai schrieb das Ordnungsamt stattdessen, dass Herr Hille nicht die erforderliche Zuverlässigkeit im Umgang mit Hunden besäße und ihm die Haltung des Hundes untersagt sei. Das Ordnungsamt führte als Beweis für diese, von ihm getroffene Feststellung, alleine die polizeilichen Anzeigen gegen Hille, die Anzeige beim Ordnungsamt und die Tierarztrechnung auf, in der Hille und seine Hündin Julie vom geschädigten Hundehalter als Verursacher genannt wurde. Obwohl sich auch der Tierarzt schriftlich davon distanziert und klarstellt, dass die Angaben ohne Gewähr sind.
Julies Rettung: Ein Anwalt
Peter Hille sollte Julie bis zum 25. Mai 2021 an eine zuverlässige Person oder an ein Tierheim abgeben. Wenn er der Auflage nicht nachkomme, drohe ein Zwangsgeld von mehreren hundert Euro und obendrein bis zu 50.000 Euro Strafe, da er einen gefährlichen Hund ohne Erlaubnis halte. "Diese Gefahr könne der Öffentlichkeit nicht weiter zugemutet werden", lautet die Aussage.
Nun war auch Hille und seiner Familie klar, dass sie ohne Anwalt nicht dagegen ankämen. Zusammen mit diesem legte der Bestenseer Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung vom 7. Mai ein. Er legte Anfang Juni seinen Sachkundenachweis ab, woraufhin ihm erlaubt wurde, Julie zu behalten. Am 16. November reichte Hilles Anwalt Klage gegen das Ordnungsamt beim Verwaltungsgericht in Cottbus ein, da die Einstufung des Hundes als gefährlich rechtswidrig war. Die Bissigkeit wurde nämlich nie geprüft und Ermittlungen des Geschehensverlaufs sind nie erfolgt. Es gäbe große Zweifel, dass es überhaupt im Zuge der Rauferei zu einer Bissverletzung kam.
Wegen des laufenden Verfahrens wollte sich die Gemeinde Bestensee zu dem Fall nicht weiter äußern. "Was mich an der ganzen Sache so ärgert", sagt Hille, "ist die Tatsache, dass die Mitarbeiter des Ordnungsamtes alles vom Schreibtisch aus entschieden haben, ohne jegliche Sachkenntnis." Da er laut Auflage mit Julie nur noch angeleint und mit Maulkorb Gassi gehen darf, hat er seine Spazierwege ausserhalb von Bestensee verlegt. Dahin wo ihn niemand sieht und keiner kennt. Die psychischen Auswirkungen des bürokratischen Spießroutenlaufs sind für ihn unmittelbar. Ohne Anwalt hätte er seine Julie wohl abgeben müssen. Daher zieht der Hundefreund ein trauriges Fazit: "Wenn sich die deutsche Bürokratie erst einmal festgebissen hat, lässt sie so schnell nicht mehr locker."