Tausende Zwangsarbeiter aus besetzten Gebieten in Ost- und Westeuropa mussten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auch in Potsdamer Betrieben schuften. Jetzt werden Zeitzeugen für ein Geschichtsprojekt gesucht, das die Ereignisse im Zusammenhang mit den Arado-Flugzeugwerken aufarbeiten will.
Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 7. und 8. Februar 1945, ist ein Todesmarsch mit Zwangsarbeitern aus dem damaligen KZ-Außenlager Jamlitz bei Lieberose über Goyatz, Teupitz, Zossen und Ludwigsfelde nach Potsdam gezogen. Fast 2.000 Häftlinge aus der Sowjetunion, Polen und unterschiedlichen westeuropäischen Ländern sind von SS-Angehörigen zunächst nach Drewitz getrieben worden. Dort wurde selektiert: Wer arbeitsfähig war, zog weiter über Falkensee ins KZ-Stammlager Sachenhausen. Wer zu schwach war - und das waren viele - wurde ausgesondert und erschossen.
Auch in Potsdam selbst mussten Zwangsarbeiter für die Rüstungs-industrie des NS-Regimes schuften. Arbeitsstätten waren unter anderem auf dem Gelände des heutigen Kulturzentrums Freiland, auf dem damals die Arado Flugzeugwerke angesiedelt waren.
Die Geschichte der Zwangsarbeit in Potsdam ist bis heute wenig bekannt. Auf dem Freiland-Gelände erinnert seit 2013 ein Mahnmal an diese düstere Zeit. Es ist der kleinere Abguss eines Originals des Dresdner Künstlers Jürgen Raue, den die thüringische Stadt Greiz in Auftrag gegeben hat. Zu sehen ist einen alliierter Soldat, der mit einer großen Geste einen Zwangsarbeiter befreit. Die Greizer Stadtverwaltung hat ihre Statue mittlerweile jedoch auf einem ehemaligen Friedhof zwischengelagert.
Um das dunkle Kapitel der Brandenburger Geschichte genauer aufzuarbeiten, hat sich im vergangenen Sommer eine Arbeitsgruppe im Freiland gebildet, die nun versucht, Kontakt zu noch lebenden Verschleppten von damals und zu deren Angehörigen aufzunehmen. Es gebe bereits gute Kontakte in die Ukraine, erzählt der Dokumentarfilmer Hannes Richter, Initiator der Arbeitsgruppe. Ebenso wichtig seien aber auch Zeitzeugenberichte aus Potsdam selbst sowie Fotos aus jenen Tagen. Denn der Treck könne der lokalen Bevölkerung nicht verborgen geblieben sein. Der genaue Weg der Häftlinge lasse sich zwar nicht mehr nachvollziehen, dennoch hofft Richter auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung.
Ein Lager, aus dem die Verschleppten auf Betriebe der Umgebung verteilt wurden, habe es am Bahnhof Rehbrücke gegeben. Die dortigen Baracken seien aber bereits kurz nach dem Krieg abgerissen worden, erzählt Richter.
Die Recherchen der Initiative haben ergeben, dass allein 1944 rund 18.000 Männer und Frauen aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten in Potsdamer Betrieben eingesetzt wurden. Die Zwangsarbeit war ein billiges Instrument und hat in vielen Fällen zu großer Bereicherung unter den Fabrikbesitzern geführt. Nach dem Krieg ist diese Zeit im kollektiven Gedächtnis der Potsdamer Bevölkerung und der Politik jedoch in Vergessenheit geraten oder wurden verdrängt.
Die Initiative möchte die Erinnerung wieder wachrütteln und sucht dazu Menschen, die diese Zeit eventuell als Kinder erlebt haben und sich daran erinnern können, dass Zwangsarbeiter-Trecks durch die Stadt getrieben wurden.
Vielleicht gibt es auch noch das eine oder andere Foto aus der Zeit. Mithilfe dieser Berichte und Dokumente soll auf dem Gelände, auf dem tausende Menschen aus verschiedenen Ländern Zwangsarbeit für die Arado-Flugzeugwerke leisten mussten, ein Erinnerungsort entstehen, an dem der vielen Verschleppten gedacht wird. Zudem sollen jüngere Menschen die Möglichkeit bekommen, sich über das zu informieren, was an diesem heute gerade von ihnen viel besuchten Ort vor fast 80 Jahren geschehen ist.
Von großem Interesse seien vor allem Fotos, Dokumente, Filme, aber auch familiäre Berichte und Erlebnisse im Kontext der NS-Zwangsarbeit bei Arado. "Vielleicht findet sich ja etwas in den Familienalben, auf dem Dachboden, im Keller oder in den Schränken", hofft Hannes Richter. Alle Dokumente werden sensibel behandelt und nur nach Rücksprache mit den Besitzern verwendet, garantiert die Arbeitsgruppe.
Kontakt:
AG Geschichtsprojekt Freiland
Mail: geschichtsprojekt@freiland-potsdam.de
Mobil: 01577 / 4455857