Die Kündigungswelle von mehr als 100 Senioren, die Mieter in der Josephinen-Anlage in der Potsdamer Burgstraße waren, hatte Ende des vergangenen Jahres für öffentliche Empörung gesorgt. Trotzdem leben derzeit lediglich noch fünfzehn oder gar zwölf Mieter in der Wohnanlage. Alle anderen haben offenbar ihre Sachen gepackt. Foto: Elke Lange
Rund ein halbes Jahr nach der Kündigungswelle in der Josephinen-Wohnanlage Potsdam gibt das Bündnis „Burgstraße bleibt!“ einen Zwischenstand
Mehr als 100 Senioren wohnten in der Potsdamer Burgstraße 6a. Ende Oktober 2021 haben sie Mietvertragskündigungen erhalten. Nach dem Kündigungsschreiben des Vermieters sollten sie binnen Monaten aus der zentral in Potsdam, direkt an der Havel gelegenen Immobilie ausziehen. Gegen diese Massenkündigung hochbetagter Bewohner hat sich ein Bündnis aus Mieterverein Potsdam, Seniorenbeirat der Landeshauptstadt und Verbraucherzentrale Brandenburg gebildet. Gemeinsam stehen sie für den Verbleib von Betreutem Wohnen.
Was hat sich aber nun in der Zwischenzeit getan? Wie viele Menschen leben aktuell noch vor Ort? Inwiefern haben die Bewohner mit rechtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen? Was unternimmt die Politik konkret, damit eine Massenkündigung von Betreutem Wohnen nicht wieder vorkommt?
Was hat sich mietrechtlich getan?
Anhängige Klagen liegen bislang weder seitens der Mieter noch des Vermieters vor. „Wir haben fast drauf gehofft, dass jemand klagt, denn dann hätte das Gericht entscheiden müssen, ob die Kündigungen wirksam oder unwirksam sind“, so Rainer Radloff, Vorstandsvorsitzender vom Mieterverein Potsdam und Umgebung e.V.. Es würde somit Rechtsklarheit bestehen. Das ist aber nicht der Fall. „Wenn ich so eine Klientel massenhaft kündige, dann werden viele aus Angst reagieren“, meint Rainer Radloff. Der Eigentümer, die SGG Soziale Grundbesitzgesellschaft Potsdam, eine Tochterfirma der Hamburger MK-Kliniken AG, habe dabei aber auch andere Wohnungen vermitteln können. Der Betreiber der Wohnanlage hatte den Bewohnern mit der Begründung gekündigt, er könne die Pflege „weder jetzt noch in Zukunft zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen“ erbringen. Der Mieterbund habe 40 bis 50 Widersprüche an Mieter ausgereicht, die auch versandt worden seien, sagte Rainer Radloff. Er gehe auch weiter davon aus, dass die Kündigungen rechtlich unwirksam seien. Aber wenn Menschen keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben und auch nicht im Mieterverein sind, dann scheuen sie einen Rechtsstreit. Auch den Angehörigen ist daran gelegen, die betagten Eltern sicher untergebracht zu wissen.
So seien von den vormals gekündigten Mietern lediglich fünfzehn oder gar nur noch zwölf derzeit noch in der Burgstraße 6a wohnhaft. Ein Großteil der Bewohner sei bereits ausgezogen oder hat Wohnangebote und ist dabei auszuziehen.
Zukünftige Nutzung der Josephinen-Wohnanlage
Die Frage an den Vermieter steht im Raum: Wie soll das Wohnobjekt weiter genutzt werden? Lange Zeit habe der Vermieter nicht reagiert, hieß es. Später war die Rede davon Studenten unterzubringen. Am Montag hieß es, dass Geflüchteten in der Burgstraße 6a Wohnraum angeboten werden soll.
Offenbar zum ersten Mal nach der Massenkündigung der Senioren in der Josephinen-Wohnanlage in Potsdam gibt es direkte Gespräche zwischen Stadt und Vermieter. „Wir haben den Eindruck er hat einen Strategiewechsel vollzogen“, so Brigitte Meier, Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit der Landeshauptstadt Potsdam. So sei jetzt jemand beauftragt mit der Stadt Potsdam zu verhandeln. Die Beigeordnete bestätigte die Idee, Geflüchtete dort unterzubringen. Die Stadt will den Vorschlag annehmen, wenn nicht weiter gekündigt wird und die verbliebenen Bewohner dort bleiben können und nicht verdrängt werden. Im Moment befinde man sich mit dem Vermittler in Gesprächen bezüglich des Vertrages. „Ich bin der Meinung wir sind jetzt auf einem guten Weg“, schätzte die Beigeordnete ein. In Sachen Zweckentfremdung werde geprüft. Allerdings dauere der Leerstand dafür wohl noch nicht lange genug an.
Bedauerlicher Einzelfall oder absehbarer Trend?
Das Situation in der Josephinen-Wohnanlage stellte sich für Norman Asmus, Landesseniorenbeauftragter Brandenburg, auch erstmals. Ein Massenphänomen ist dieses Vorgehen im Land Brandenburg demnach nicht. Jedoch sollte man gleichwohl nicht die Augen davor verschließen, dass Brandenburg eines der Bundesländer ist, in dem in den nächsten acht Jahren der Bevölkerungsanteil mit der Altersgruppe 65plus enorm zunehmen wird. Manfred Hildenbrand vom Potsdamer Seniorenbeirat berichtet, dass die Wartezeit für einen Platz im Betreuten Wohnen im Stadtteil Waldstadt II zehn Jahre betrage. Betreutes Wohnen oder Servicewohnen wird sicher von vielen gewünscht. Auch der Fachkräftemangel in der Pflege wirke sich aus und könne nicht weggeredet werden. Der Begriff Betreutes Wohnen sei allerdings nicht rechtlich geschützt und deshalb gelte es aus Sicht des Landesseniorenbeauftragten hier Qualitätsstandards zu definieren. Eine Aufgabe, die er gern voranbringen würde.
Den Vorschlag der Linken, zu prüfen, ob für bestimmte, soziale Zwecke auch Enteignungen möglich werden könnten, lehnte die Landtagsmehrheit bereits ab. Die Koalitionsfraktionen wollen nun Vorschläge erarbeiten, wie künftig auch selbstständige Wohnformen unter das Heimrecht und damit unter behördliche Kontrolle fallen könnten.
Die öffentliche Veranstaltung fand per Online-Talk im Rahmen der 28. Brandenburgische Seniorenwoche unter dem Motto „Für ein lebenswertes Brandenburg – solidarisch, aktiv, mitbestimmend, für alle Generationen“ statt. Weitere Informationen gibt es auch im Internet unter www.burgstrasse-bleibt.de.