Internationales Projekt bringt Neues zu Tage
Vor den Toren der Stadt Luckenwalde befand sich mit dem Stalag III A eines der größten deutschen Lager für Kriegsgefangene zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Es war das wichtigste und größte dieser Lager im damaligen Wehrbezirk III (Berlin-Brandenburg). Rund 200.000 Menschen wurden hier registriert, interniert und/oder in die Arbeitskommandos der Region aufgeteilt, um als Zwangsarbeiter für die NS-Kriegswirtschaft ausgebeutet zu werden.
Von allen Häftlingsgruppen sind die Jugoslawen diejenigen, die am wenigsten erforscht sind – dabei ist der jugoslawische Friedhof in Luckenwalde der sichtbarste.
Denn während die italienischen und französischen Verstorbenen nach dem Krieg umgebettet und die sowjetischen Staatsbürger in Massengräber bestattet sind, verfügen die Jugoslawen über rund 70 Einzelgräber.
Obwohl die Gesamtanlage gepflegt wird, sind infolge der jahrelangen Verwitterung viele der Namen nicht mehr lesbar gewesen. Abgesehen von jährlichen Gedenkveranstaltungen der serbisch-orthodoxen Kirche aus Berlin hat der abseits im Wald gelegene Friedhof nur wenige Besucher.
Geschichte des Kriegsgefangenenlagers wird sichtbar gemacht
Im Sommer 2021 startete ein internationales Projekt, bei dem die Geschichte des jugoslawischen Teils des Luckenwalder Stalag-Friedhofs thematisiert werden sollte.
Ins Leben gerufen wurde das Projekt durch den Potsdamer Verein „INWOLE“ (inwole.de), der auf vielen Ebenen gesellschaftlich und bildungspolitisch aktiv ist und langjährige Partnerschaften zu Initiativen und Organisationen in Ost- und Südosteuropa pflegt.
Zusammen mit dem alternativen Kulturzentrum CK13 in Novi Sad (Serbien) wurde schließlich das gemeinsame Projekt entwickelt und engagierte junge Erwachsene zu einer Projektwoche eingeladen.
Das Ziel des Projektes war es, dass historisch interessierte junge Menschen ein Thema so aufarbeiten, dass es für eine breite Öffentlichkeit interessant ist und möglichst viele Menschen erreicht werden können. „Wir entschieden uns dazu, einen kurzen Dokumentarfilm zu drehen und eine Kampagne in Sozialen Netzwerken zu starten, um mehr über das Schicksal der jugoslawischen Kriegsgefangenen herauszufinden“, erklärt Holger Raschke von „INWOLE“.
„Mit Unterstützung des HeimatMuseums Luckenwalde sowie des Straßen-, Grünflächen- und Friedhofsamtes der Stadt Luckenwalde konnten wir uns dem historischen Ort inhaltlich nähern und eine Namensliste der dort Bestatteten erhalten.“ Diese Liste bildete den Anfangspunkt der Recherche nach Nachfahren und Familienangehörigen, denn neben den Namen und Geburtsdaten befanden sich auf der Liste auch die Herkunftsorte der Verschleppten.
So konnte der Verein lokale Facebook-Gruppen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens identifizieren, um dort auf sein Projekt und die Namensliste aufmerksam zu machen. Mit der Social-Media-Kampagne, dem circa acht-minütigen Dokumentarfilm und zahlreichen Medienberichten konnten zehntausende Menschen erreicht werden, sodass sich schon bald Leute meldeten, die eine Verbindung zum Stalag III A in Luckenwalde hatten.
Potsdamer Verein sammelt persönliche Geschichten aus einer bewegten Vergangenheit
Aleksandra Komatina, eine junge Frau aus Serbien berichtete von der Geschichte ihres Urgroßvaters Spiro Komatina, der am ersten Tag nach seiner Ankunft in Luckenwalde am 16. Mai 1941 verstarb.
Nach seiner Gefangennahme im April 1941 bei Skopje wurde er zusammen mit vielen anderen Gefangenen mit dem Zug in die deutschen Lager geschickt. Die Todesursache ist nicht sicher, aber es wird vermutet, dass er in Wien Wasser aus der Donau trank und daraufhin krank wurde. Amtliche Dokumente, die in den Arolsen Archives verfügbar sind, besagen, dass er an der Ruhr gestorben ist.
Sein erster Sohn war weniger als zwei Jahre alt, als er im Lager war, und seine Frau war damals im siebten Monat schwanger. Er hatte auch eine Tochter, die jedoch im Krieg starb. Sein Vater Radoslav, der den Ersten Weltkrieg an der Thessaloniki-Front überlebte, war ein Militärinvalide. Spiros Mutter starb im Krieg, als sie ihre Tochter beschützte.
Geschichten über Spiro sind vor allem wegen Veljko Komatina bekannt, einem Cousin, der ebenfalls im Lager war. Mit Hilfe von Bauern errichtete er einen Grabstein, der noch heute in Luckenwalde steht. Ein Foto – das ihn neben dem Grabstein zeigt – brachte er nach Kriegsende mit nach Hause, um den Hinterbliebenen wenigstens ein Bild als Erinnerung zu hinterlassen. Bei Spiros Sohn, Alexandras Großvater, hängt dieses Bild bis heute an der Wohnzimmerwand.
Weiteres umfangreiches Bildmaterial wurde von Milan Stankovic zur Verfügung gestellt, dessen Vater das Lager in Luckenwalde überlebte. Die Bilder zeigen sowohl Szenen des Lager-Alltags als auch zahlreiche Gruppenbilder.
Solche Gruppenbilder wurden dann mit Briefen nach Hause geschickt, um den Daheimgebliebenen zu zeigen, dass es ihnen „gut“ geht. Kritisch durften die Briefe nicht sein, da sie durch eine Lager-Zensur gingen, bevor sie auf den Postweg gebracht wurden. Im Gegenzug warteten die Gefangenen auf Pakete mit Lebensmitteln, Dingen des täglichen Bedarfes oder Artikeln, die sich gut als Tauschware eigneten.
Zeitzeugnisse sind bis heute im Luckenwalder Stadtgebiet zu finden
In Luckenwalde kann man noch heute die Arbeit der jugoslawischen Kriegsgefangenen sehen, denn der Bau des Königsgrabens um Luckenwalde herum wurde vor allem durch sie realisiert. Alle im Verlauf des Projektes erhaltenen Materialien und Fotos von Hinterbliebenen wurden dem HeimatMuseum Luckenwalde zur Verfügung gestellt.
Die am Projekt Beteiligten sowie die Hinterbliebenen schätzen die Pflege und Erhalt des Stalag-Friedhofes durch die Stadt Luckenwalde. Gewünscht wird sich auch, dass die individuellen jugoslawischen Grabstätten auf Dauer erhalten bleiben, denn diese Anlage ist als historisches Zeugnis in der gesamten Region einmalig.
Hintergrund
Das Projekt wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ sowie dem Bildungsministerium des Landes Brandenburg gefördert. Den Dokumentarfilm sowie weitere Informationen findet man unter: www.gedenkerfahrungen.org unter der Rubrik „History From Below: STALAG III A“. Kontakt zum Förderverein „INWOLE“ können Interessierte unter geschichtsprojekte@foerderverein-inwole.de aufnehmen