Die Wut über den Virus ist in der Kleinstadt angekommen: Lichterspaziergänger und Mahnwache am Montagabend
Während es vor zwei Jahren noch zur Begrüßung hieß: „Wie geht es dir?“ hat sich heute die Wortwahl gewandelt. „Hast du schon geboostert?“ oder „Bist du geimpft?“, heißt es oftmals. Skrurril? Gefährlich?
Nancy und Katrin, beide 44 Jahre alt, können es schon nicht mehr hören. Sie sind Spaziergänger am Montagabend in Treuenbrietzen. In Social Media Kanälen ist die Rede von 194 Teilnehmern an diesem Abend. Es ist bereits der dritte Spaziergang durch die Stadt. Die Zahl der Teilnehmer hat sich vervielfacht.
Während sich die Spaziergänger hinter dem Rathaus der Stadt versammeln, treffen sich bereits eine Stunde zuvor Befürworter der Coronaregeln zur Mahnwache vor dem Rathaus. Um coronakonform Gesicht zeigen zu können wurde ein Bauzaun aufgestellt, wie es heißt. Er grenzt die Mahnwachenden ab. Ein Aufgebot an Polizeifahrzeugen und Polizeikräften ist vor Ort. „Die Polizei führte einen der Lage angepassten Polizeieinsatz durch“, heißt es auf Blickpunkt-Anfrage. Zu beiden Veranstaltungen lagen entsprechende Anmeldungen vor.
Im Vorfeld der Mahnwache hat Bürgermeister Michael Knape (parteilos) bereits einen Offenen Brief an alle Bürger der Stadt aufgrund der „stattfindenden „Montagsspaziergänge“ in unserer weltoffenen und demokratischen Stadt, die sich – so suggerieren es zumindest die Organisatoren – gegen Spaltung und Ausgrenzung in der Gesellschaft richten und dazu, die gegenwärtigen Coronamaßnahmen als Vorwand nutzen“ veröffentlicht. Der Offene Brief wurde bis auf wenige Ausnahmen von Stadtverordneten und Ortsvorstehern, Vertretern der Kirchengemeinden sowie des Johanniter-Krankenhauses unterschrieben.
In dem offenen Brief heißt es unter anderem: „Die Corona-Pandemie verlangt von uns allen ein hohes Maß an Verantwortung für sich selbst und noch viel wichtiger für unser Gegenüber“. Bereits an der Stelle ist Katrin enttäuscht und empfindet es als anmaßend, davon auszugehen, dass sie persönlich nicht verantwortungsvoll im Umgang mit der Pandemie sei. „Auch ich trage einen Mund-Nasen-Schutz wie viele andere beim Einkauf, nehme mich zurück, um der Verbreitung des Virus nicht Vorschub zu leisten.“ Katrin und Nancy sind ungeimpft und wollen es auch vorerst bleiben. Coronaleugner seien sie keinesfalls, beteuern beide. Was die 44-Jährigen umtreibt, ist die Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. Toleranz scheint nur noch eine Worthülse zu sein, verschiedene Meinungen oder Ansichten in einer Demokratie in weite Ferne gerückt. Kommunikation erfolge von oben herab. Sie können die Aufregung nicht nachvollziehen, denn als Ungeimpfte haben sie teilweise keinen Zugang zu Veranstaltungen, sind per se ausgegrenzt und trotzdem steigen die Inzidenzzahlen in schwindelerregende Höhe. In die Zukunft blickend stellen sie sich die Frage: Wo soll das hinführen? Wird es auch bald Schulklassen unterteilt in Geimpfte und Ungeimpfte geben?
In dem offenen Brief ist zudem die Rede von Wertschätzung und Empathie gegenüber den Erkrankten und An-oder-mit-Corona-Verstorbenen. Katrin empfindet solche oder ähnliche Verlautbarungen als Augenwischerei und fragt sich, warum aus Empathie eine solche Mahnwache nicht schon bereits vor einem Jahr stattgefunden hat?
Die Sorge vor Impfungen
Was die beiden Frauen verunsichert, ist das Gerede einiger Politiker. Hieß es zu Beginn der Pandemie noch: Geimpfte Menschen infizieren sich nicht, wird heute bereits zur Drittimpfung aufgerufen. Heißt es beispielsweise am Morgen in den offiziellen Medien noch: der Impfstoff Biontech helfe nicht gegen die Omikron-Variante, werde kaum zwei Stunden später das Gegenteil verkündet. Und sich einfach per Impfung die Freiheiten von der Vor-Coronazeit zu „erkaufen“, lehnen sie ab.
Michael Knape, Bürgermeister der Stadt Treuenbrietzen, ist am Tag danach zunächst erst einmal zufrieden, dass es zu keinen Ausschreitungen wie in einigen anderen deutschen Städten kam. Er geht davon aus, dass es sich bei den Spaziergängern um ein „buntes“ Publikum nicht nur aus Treuenbrietzen handele. SeinenStandpunkt zu den Protestlern habe er bereits in dem Offenen Brief dargelegt und den vertrete er auch weiterhin. Allerdings falle es ihm auch schwer zu glauben, dass die aktuellen Spaziergänge einzig und allein zur Gemeinsamkeit und zum friedlichen Miteinander aufrufen sollen.
Derweil wird der Ton in Potsdam schärfer. Der Brandenburgische Landtag rief am Montag den Notstand aus. Geplant sei unter anderem, bestehende Beschränkungen für Ungeimpfte aufrechtzuerhalten sowie Clubs und Diskotheken zu schließen. Ministerpräsident Woidke kritisierte in der Sondersitzung die Aufmärsche gegen die Corona-Schutzmaßnahmen scharf und warnte vor einer Radikalisierung bei den Protesten gegen die Maßnahmen.