Die Bundestagswahl steht vor der Tür. In ganz Deutschland, aber besonders im Berliner Speckgürtel wird Wohnraum immer knapper und ist teilweise schwer zu finden. Anlass für Blickpunkt-Redakteurin Sabine Gottschalk, der Kanzlerkandidatin von Bündnis'90/Die Grünen, Annalena Baerbock, und ihrem Kontrahenten von der SPD, Olaf Scholz, jeweils vier Fragen zum Thema "Bezahlbares Wohnen" und zu den von ihnen angestrebten Lösungen zu stellen.
Frau Baerbock, ist geförderter Wohnungsbau Ihres Erachtens die richtige Lösung gegen Spekulation und weiter steigende Mieten und brauchen wir mehr davon?
Wohnen ist eine der sozialen Fragen unserer Zeit. Geförderter Wohnungsbau ist dabei ein Baustein von mehreren, die den starken Mietpreisanstieg begrenzen sollen. Denn dieser Anstieg ist aktuell ein entscheidender Treiber für die soziale Spaltung. Deswegen ist es auch eine politische Aufgabe, dem entgegenzuwirken: durch Wohnungsbau, durch eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, und ja, auch als letztes Mittel in Brennpunkten, durch einen Rahmen bei den Mietpreisen. Wir wollen als Teil eines Gesamtkonzepts in einem Bundesgesetz gewährleisten, dass Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht werden. Die Mietpreisbremse soll entfristet und deutlich nachgeschärft werden. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden.
Es war ein Fehler dieser Bundesregierung die Gelder für sozialen Wohnungsbau im Bundeshaushalt um ein Drittel zu kürzen. Da steht gerade auch Finanzminister Olaf Scholz in der Verantwortung. Ich will dafür sorgen, dass wieder mehr Geld für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung steht. Außerdem will ich durch eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit dafür sorgen, dass Wohnungen ihre Mietbindung nicht verlieren. So kann ein dauerhaft sozialgebundener Bestand an Wohnungen wieder aufgebaut werden. Momentan verlieren wir bundesweit 26 000 Sozialwohnungen jedes Jahr und da ist der Neubau schon eingerechnet. Politik kann dabei nicht weiter nur zuschauen.
Die Mieten steigen, weil mit Immobilien zurzeit viel Geld zu verdienen ist. Aber auch die zunehmenden Regulierungen bei Baustoffen und Dämmung machen es schwer, günstig zu bauen. Wäre nicht ein Abbau der Regulierungen, die vor allem im Brandschutz teilweise in der Entscheidung einzelner Sachbearbeiter münden, die bessere Variante?
Die Baukosten in Deutschland sind in letzter Zeit massiv gestiegen. Das stimmt und hat zweierlei Ursachen. Zum Einen sind die Materialkosten gestiegen, was viel mit den globalen Lieferketten und Verwerfungen in Folge der Corona-Pandemie zu tun hat. Zudem kaufen einzelne Wachstumsregionen den Weltmarkt leer. Es gibt aber auch die zweite Seite. Da sprechen wir über Fachkräftemangel, wenig Planungssicherheit für Firmen, geringe Digitalisierung, um nur einige zu nennen. Wir hinken also hinterher. Dabei sind Innovationen im Bausektor von immenser Bedeutung, auch um einen effizienteren Rohstoffgebrauch zu gewährleisten. Leider passiert hier zu wenig. Ich will die Wende beim Bauen einläuten - mehr Kreislaufwirtschaft, mehr ökologische und nachwachsende Baustoffe, regionale Wertschöpfung, aber auch eine Ausbildungs- und Digitalisierungsoffensive, um die vorhandenen Ressourcen besser nutzen zu können. Ich will das serielle Bauen und Sanieren besser fördern, um Kosten und Zeit bei Sanierungen und Bauvorhaben zu reduzieren. In den Niederlanden funktioniert das bereits. Eine Studie der Senatsverwaltung Hamburg zeigt auch, dass es auf eine gute Planung und die Ausstattungsmerkmale ankommt, wenn es um Baukosten geht. Auf lange Sicht sind energetisch gute Gebäude sogar günstiger, weil sie kosten sparen – beim Heizen, beim Sanierungszyklus und beim CO2-Preis. Das geht ganz ohne Abstriche beim Brandschutz, wir müssen nur wollen.
Was ist Ihre konkrete Antwort auf den Wohnungsmangel in der Hauptstadtregion? Wie kann die Situation Ihrer Meinung nach verbessert werden?
Ich setze auf die doppelte Innenentwicklung: mehr grün und mehr Wohnungen. Dafür haben wir Grüne das 100 000 Dächer-Programm aufgelegt. Im Ausbau von Dächern liegt ein riesiges und notwendiges Potenzial. Studien zeigen, dass auf Wohnimmobilien, Parkhäusern in Innenstädten, Büro- und Verwaltungsgebäuden, eingeschossigem Einzelhandel, Discountern und Märkten oder der mit der Umnutzung von Leerständen von Verwaltungsgebäuden bis zu 2,7 Millionen Wohnungen realisiert werden könnten. Insgesamt wollen wir für unser Programm mehr als 800 Millionen Euro in die Hand nehmen. Außerdem soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in einen Bundesbodenfonds umgewandelt werden. Der Bund soll dann Grundstücke nicht mehr meistbietend veräußern, sondern beispielsweise in Erbpacht günstig an Genossenschaften, kommunale oder andere gemeinwohlorientierte Akteure abgeben.
Würden Sie das Thema Wohnen sofort angehen?
Gerade Corona hat uns doch wie unter einem Brennglas die Probleme unserer Gesellschaft offengelegt und wie dies mit Wohnraum zusammenhängt. Kinder können in längst zu klein gewordenen Wohnungen nicht lernen. Junge Erwachsene können nicht ausziehen. Wohneigentum als Ausweg ist den meisten verwehrt, da unbezahlbar. In der Rente blüht manchem ein Umzug fort aus der gewohnten Umgebung, wenn die Miete erhöht wird. Älteren bleibt wegen mangelnder barrierefreier Wohnungen oft überhaupt nur das Pflegeheim. Viele bleiben bei dem Ansturm auf eine freie bezahlbare Wohnung auf der Strecke. Die Trendwende braucht Zeit. Und zudem bauen wir weiter mit Beton, dessen Produktion aber Unmengen an CO2 verursacht. Eine Wohnung entsteht nicht über Nacht. Wir müssen daher jetzt handeln, um Verdrängung und die soziale Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern und auch im Bausektor die Weichen in Richtung Klimaneutralität zu stellen.